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Juristen im Portrait: Günther Beitzke

von Franz Gamillscheg - aus der Festschrift des C. H. Beck Verlages.
 
I

Günther Beitzke hat mit seinem Lehrbuch des Familienrechts innerhalb von 40 Jahren 24 Auflagen vorgelegt und nimmt schon damit als Verfasser des führenden Lehrwerks, der von der ersten Seite bis zur letzten Seite der jüngsten Auflage alles allein geschrieben hat, einen herausragenden Platz ein. Es dürfte heute wenige aktive Praktiker geben, die Familienrecht nicht mit diesem Buch gelernt hätten, und auch der Umstand, daß es in den Prüfungsordnungen seit einigen Jahren auf seine "Grundzüge" heruntergestuft worden ist, wird daran nicht viel geändert haben; jedenfalls tut dies der Bedeutung des Buches keinen Abbruch.


II

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III

Günther Beitzke ist, wie man so sagt, im Gegensatz zu den 'gelernten Professoren', ein 'geborener Professor': Er hat 1909 das Licht der Welt in Freiburg als Sohn des Professors für Medizin Hermann Beitzke erblickt. Zwei Jahre später verschlug es die Familie nach Lausanne, 1922 verzog sie sodann nach Graz, wo Beitzke 1927 am Akademischen Gymnasium mit Auszeichnung (selbst im Sport hatte er eine 1, wie neidvoll zu berichten ist) die Matura erhielt. Drei Klassen über ihm war Max Kaser Schüler desselben Gymnasiums, eine bis heute währende Freundschaft ist daraus erwachsen.
      Ursprünglich wollte Beitzke Techniker werden, doch hat ihn sein Mathematiklehrer in Graz so sehr entmutigt, daß er dieses Ziel aufgegeben hat. Eine aufkeimende Neigung zur Medizin wurde jäh erstickt, als der Vater ihn einmal zu einer Leichenöffnung mitgenommen hat. So wurde er nach Abstreichen weiterer ungeeigneter Laufbahnen und Werdegänge schließlich Jurist. Zu Österreich hat sich Beitzke eine warme Anhänglichkeit bewahrt. Die 1922 hinzuerworbene österreichische Staatsangehörigkeit hat er bis heute beibehalten, mit dem Doyen des österreichischen internationalen Privatrechts Fritz von Schwind ist er per du, und wenn er nostalgisch gestimmt ist, sagt er Jänner statt Januar.
      Nach Studien in Berlin, München und Kiel legte Beitzke 1931 das Referendarexamen ab und wurde 1933 bei Walther Schücking, dem berühmten Völkerrechtler und Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, promoviert. Das sagenumwobene Referendarlager in Jüterbog blieb ihm 1934 nicht erspart - für den Nationalsozialismus rangierte bekanntlich der Frühsport vor der Relativitätstheorie - mit Abscheu denkt Beitzke daran zurück. 1935 folgte die Assessorprüfung. Nach einer Unterbrechung der beruflichen Laufbahn durch den Dienst bei der Artillerie in Güstrow wurde Beitzke Hilfsrichter am Amtsgericht und Landgericht Kiel, mit richterlichen Aufträgen, die jeweils von Montag bis Samstag befristet waren, damit der Sonntag nicht bezahlt werden mußte. Die gleiche fiskalische Sparsamkeit zeigte sich auch zur Weihnachtszeit, als sein bezahlter richterlicher Auftrag am 22. Dezember auslief.
      1936 begann Beitzke seinen akademischen Weg als Assistent der juristischen Fakultät in Gießen (sechs Professoren, ein Assistent). Unter der Betreuung von Rolf Dietz folgte die Habilitation 1937138 und die Verleihung der Dozentur 1938. Ein Lehrauftrag in Leipzig in diesem Jahr brachte die erste bezahlte Tätigkeit. 1939 holte ihn Günther Haupt nach Jena, wo er zum außerordentlichen Professor für Zivilrecht, Handelsrecht und Internationales Privatrecht ernannt wurde.

Dann kam der Krieg. Die Blitzsiege in Polen und Frankreich wurden ohne Beitzke errungen. Als jedoch der Rektor von Jena im Frühjahr 1941 auf die Idee kam, von ihm Zug um Zug gegen die Ernennung zum Ordinarius den Austritt aus der Kirche zu verlangen, ließ Beitzke ihn wütend abfahren (wer ihn kennt, sieht die Szene vor sich). Auch der Versuchung, in einem von jenem Rektor eingerichteten 'Institut zur Erforschung der Tabakgefahren' Ehrenmitglied zu werden, hat er, obwohl stets Nichtraucher, widerstanden.
      Die Folgen ließen nicbt auf sich warten, Beitzke wurde eingezogen. 1941 bis 1945 war er Soldat bei der Artillerie, immer an der Ostfront, zuletzt in Pillau in Ostpreußen, aber die heilige Barbara hat ihre schützende Hand über ihn gehalten. Dreimal verwundet, kehrte er nach kurzer englischer Gefangenschaft im August 1945 gereift, aber im wesentlichen unbeschädigt, in die Heimat zurück.

Beitzke zählte zu den Glücklichen, die wußten, wohin. 1941 war in Göttingen der Lehrstuhl von Eduard Wahl, der nach Heidelberg gegangen war, freigeworden. Die Göttinger Fakultät, selbstbewußt wie immer und wie ihr das auch zustand, hielt zunächst nach einem Ordinarius Ausschau. Rudolf Smend, der Dekan der Kriegsjahre, schrieb etwa dem Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Göttingen sei eine Hochschule, 'an die berufen zu werden auch für einen Ordinarius eine Ehre ist', und wer hätte ihm da widersprechen wollen. Dennoch war das damals schwieriger als heute; manche Berufene und viele Unberufene mischten sich in den Auswahlvorgang ein. Wir wissen zwar nichts aus den Akten über eine etwaige Beteiligung der NS-Studentenschaft, um so gründlicher beugte sich jedoch der Reichsdozentenbund mißvergnügt über den Vorgang. Der Erlanger Zivilrechtler Eugen Locher, so lesen wir, war ihm zu katholisch ('eine zu wenig kämpferische Gelehrtennatur'), und auch Walther Hallstein, damals an der Universität Rostock, fand keine Gnade vor seinen Augen ('niemals geeignet, selbständig als Kämpfer und Führerpersönlichkeit im nationalsozialistischen Sinn zu wirken'). Freundlicher war die Meinung über den dritten im Bunde Rudolf Reinhardt, Marburg ('kameradschaftlicher Mensch und anständiger Charakter', ein Urteil, das jeder, der Reinhardt gekannt hat, gern bestätigen wird).
      Die Fakultät hat sich nicht beirren lassen und Walther Hallstein an erster Stelle vorgeschlagen, der jedoch inzwischen einem Ruf nach Frankfurt gefolgt war; auch Reinhardt konnte aus Marburg nicht losgeeist werden. Beitzke, obwohl nicht Ordinarius, war bereits von Anfang an in die Überlegungen mit einbezogen worden, nunmehr fiel die Wahl auf ihn. Smend schrieb dem Minister, Beitzke komme 'in weitem Abstand vor allen anderen... Fachvertretern für die Ausfüllung dieser Lücke [den Lehrstuhl Eduard Wahl] in Frage'. Um Beitzke den Ruf schmackhaft zu machen, wurde in einem Schreiben sogar angeregt, ihm die Betreuung des (künftigen) Kolonialrechts zu übertragen. Im März 1942 erreichte der Ruf den Gefreiten Dr. Beitzke, Feldpostnummer 24574 D, an der Ostfront, doch bis zur Annahme dauerte es dann noch viele Monate der Ungewißheit. Beitzke wollte den Ruf nicht blindlings annehmen und sich erst über die Arbeitsmöglichkeiten in Göttingen unterrichten, ein Plan, der zunächst daran scheiterte, daß ihm kein Urlaub gewährt wurde. Als die Angelegenheit auch im Oktober 1942 noch unentschieden war, mischte sich der damalige Rektor Plischke ein und bat um Entscheidung; Smend stellte sogar zur Unterstützung von Beitzkes Wunsch nach Urlaub die Hilfe durch einen stellvertretenden Kommandierenden General in Aussicht. Die Dinge waren aber nicht so: 'Über mein Wegkommen entscheidet kein General, sondern mein Batteriechef', schrieb Beitzke zurück, nicht ohne den Hinweis, es wäre doch besser, einige Fakultäten zu schließen und an den verbleibenden einen ordentlichen Unterricht zu bieten, statt daß das Ministerium aus Prestigegründen alle Fakultäten offenhält; man kann dann die jüngeren Lehrkräfte im Wehrdienst belassen, wo sie nach ihrem Lebensalter auch hingehören, und an den zu errichtenden Fakultäten den Studenten alles bieten - ein echter Beitzke, der immer gesagt hat, was er denkt. Im Dezember schien der Ruf sogar zu scheitern, im Januar kam dann doch die Gelegenheit zum Urlaub, im Februar 1943 wurde der Ruf angenommen. Vorlesungen hat Beitzke während des Krieges in Göttingen indessen nicht gehalten.

Das nächste Lebenszeichen, das sich in den Akten findet, ist eine pessimistische Feldpostkarte des Leutnants Beitzke vom 19. Juli 1945 aus dem Gefangenenlager in Hademarschen an Smend: 'Die veränderte Lage, der Verlust meiner Bibliothek und anderes legen es nahe, die Jurisprudenz endgültig an den Nagel zu hängen'. Das wäre schade gewesen.
      Im August war Beitzke in Göttingen, es begann die Zeit, die external link Sandrock in seinem Lebensbericht in der Festschrift als die 'Göttinger glücklichen Jahre' bezeichnet, trotz der drückenden äußeren Lebensverhältnisse. 1948 heiratete Beitzke in Göttingen Gertrude Oppermann, die seinen Lebensweg seither begleitet. Göttingen war die erste Fakultät, die ihren Betrieb nach dem Krieg wieder aufnahm. Am 5. September 1945 begannen die Vorlesungen, zunächst in Behelfsräumen, da das Vorlesungsgebäude am Weender Tor von den Engländern beschlagnahmt war, oft in Kälte und Finsternis, wenn der Strom wieder einmal ausfiel, mit den Hungerrationen der ersten Nachkriegszeit, kurz, unter den Verhältnissen, die ja bekannt sind. Sie hatten aberjedenfalls einen Vorzug: Kein Student studierte länger als nötig; der Bummelstudent war damals ausgestorben, und auch die Zivilisationskrankheiten infolge Überernährung konnte man allenfalls bei den Besatzungssoldaten beobachten. Smend wurde Rektor, Welzel Dekan; im Wege der Wiedergutmachung wurden Juhus von Gierke und Herbert Krauss in ihre Ämter zurückberufen. Bockelmarin kam aus Königsberg, Felgentraeger aus Breslau, Wieacker aus Leipzig, Köttgen aus sowjetischer Gefangenschaft; Flume wurde aus Bonn, Werner Weber aus Berlin berufen. Im Laufe der nächsten Jahre stießen auch Ebel, Erler, Schaffstein und Siebert zur Fakultät.

1953/54 wurde Beitzke Dekan. Auch dieses Amt läßt den Menschen reifen; eine Fakultät, also eine Versammlung von Individualisten par excellence, die sich dennoch gewissen Ordnungen unterwerfen müssen, zu regieren, ist eine schwierige Sache, man sieht dann auch eigene frühere Schwächen in einem anderen Licht. Der eine oder andere Verdruß ist Beitzke freilich auch später nicht immer erspart geblieben. Dennoch hat er 1954 einen ehrenvollen Ruf nach München abgelehnt. Das gleiche Schicksal war einem Ruf nach Tübingen 1958 beschieden, den gleichzeitig ergangenen Ruf nach Bonn, wohin ihm Flume und Welzel vorangegangen waren, hat er indessen angenommen.
      Seinen Dienst in Bonn hat Beitzke nach einer Nacht im Schlafwagen an einem Samstag früh um 9.00 Uhr mit der Habilitation von Fritz Rittner begonnen. Mit viel Arbeit und tatkräftiger Mithilfe von external link Otto Sandrock richtete er sich ein Institut für Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung ein, und so konnte gewissermaßen die Zeit der Ernte beginnen. An Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen hat es freilich auch vorher nicht gefehlt. Seit 1954 ist Beitzke Mitglied der Familienrechtskommission der Evangelischen Kirche in Deutschland. 1968 bis 1972 gehörte er der Eherechtskommission beim Bundesminister der Justiz an, in einer anderen Kommission hat er an der Vorbereitung des Nichtehelichen-Gesetzes von 1969 mitgewirkt. 1955 bis 1966 war er Vorstand des Deutschen Instituts für Vormundschaftswesen. Der deutsche Rat für Internationales Privatrecht zählt ihn seit seiner Gründung 1952 zu seinen Mitgliedern; 1976 übernahm er nach dem Tod von Wolfgang Lauterbach den Vorsitz der Ersten Kommission, deren Vorschläge und Gutachten das IPR-Gesetz von 1986 im wesentlichen geformt haben. Zu den Auszeichnungen, die das Internationale Privatrecht zu vergeben hat, gehört auch die Einladung, an der Akademie für Internationales Recht in Den Haag Vorlesungen zu halten. Beitzke hat dies 1965 und 1980 getan. 1966, 1968 und 1976 nahm er als deutscher Regierungsvertreter an den Haager Konferenzen für Internationales Privatrecht teil. Von der Erstattung des Berichts über das Internationale Arbeitsrecht zum 2. Internationalen Kongreß für Arbeitsrecht in Genf 1957 war bereits die Rede. Schon 1955 war Beitzke (als Nachfolger von Sitzler) zum Mitglied der Sachverständigenkommission beim Internationalen Arbeitsamt in Genf ernannt worden, dessen Aufgabe es ist, die Einhaltung der Übereinkommen und Empfehlungen der Internationalen Arbeitsorganisation zu überwachen. Nach 27jähriger Tätigkeit haben ihn politische Intrigen aus diesem Gremium vertrieben, denen das Amt keinen genügenden Widerstand entgegengesetzt hat. Beitzkes unbestechliche Wachsamkeit war wohl unbequem geworden.

Der Bundespräsident verlieh Beitzke das große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Die Universitäten Reykjavik und Toulouse zählen ihn zu ihren Ehrendoktoren, die Wiener Akademie der Wissenschaften und die Academie Nationale des Sciences, Belles-Lettres et Arts in Bordeaux zu ihren korrespondierenden Mitgliedern. Die Göttinger Akademie der Wissenschaften hat ihn freilich bisher übersehen, er wird das verschmerzen.
      Beitzke ist ein anregender Vortragender, und er war in seiner aktiven Zeit ein großartiger akademischer Lehrer, das bestätigen alle seine Schüler, für die er sich zudem stets eingesetzt hat, wenn sie ihn um Hilfe gebeten haben. Er ist gewiß nicht der Typ des wohlmeinenden Onkels, der im nächsten Augenblick vergißt, was er gerade verspricht, und es ist auch nicht auszuschließen, daß der eine oder andere Prüfling nicht immer entzückt war, wenn er erfuhr, daß Beitzke ihn prüfen würde. Aber die Geradheit und Redlichkeit, die ihn auszeichnen, haben ihm auch als Lehrer und Kollegen Sympathie und Anerkennung verschafft. Als die Göttinger Universität 1985 zur Feier ihrer Wiedereröffnung vor 40 Jahren die Studenten von damals einlud, kam Beitzke in das Auditoriengebäude, als der Festvortrag bereits begonnen hatte. Dann sagte einer: "Da kommt ja Beitzke", und alle standen auf und applaudierten dem 76jährigen; für ihn ganz unerwartet, es hat ihn aber sichtlich gerührt. Forschung und Lehre sind bei Günther Beitzke so vereint, wie es sein soll, sind, wie man sagt, bei ihm in guten Händen.



Von external link Franz Gamillscheg, dem Göttinger Arbeitsrechtler.
(Der Text wurde unverändert übernommen, obwohl sich der Webmaster manchen Kommentar verkneifen musste :-)

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eMail © C. H. Beck Verlag · Seite erstellt am: 3.9.2000, letzte Änderung 11:43 21.2.2001, Mittwoch