Eingang · O. Sandrock C. Scholl F. Schwind B. Tschiporikov Sturm - End
 
 

Nachruf von Fritz Sturm


Abschied von Günther Beitzke (1909 - 2004)

Vivendi est finis optimus, cum integra mente certisque sensibus opus ipsa suum eadem quae coagmentavit natura dissolvit. Das schönste Lebensende ist es, schreibt Cicero (De senectute 20, 72), wenn bei ungeschwächtem Geist und gesunden Sinnen die Natur selbst das Werk, das sie schuf, wieder auflöst.
 
Dieses Glück war dem großen deutschen Gelehrten Günther Beitzke beschieden, der am 16. Juni 2004 verstarb. Meine Frau und ich konnten ihn noch am Tag vor seinem 95. Geburtstag, am 25. April, im Stift Beethoven in Bornheim besuchen.
      Er war nicht vom Tode gezeichnet, aber die Mühe zu gehen und sich in seinen Räumen zu bewegen, ließen uns fühlen, wie beschwerlich ihm das Altern wurde. Wir ahnten nicht, dass wir ihm gleichsam zum Abschied die Hand drückten, in dankbarer Erinnerung an viele Begegnungen in Bad Salzschlirf, in der Familienrechtskommission des Deutschen Rats für IPR und in unserem Hause, wo wir die Freude hatten, den Vertreter Deutschlands in der Sachverständigenkommission des Internationalen Arbeitsamts in Genf dann und wann zum Abendessen einzuladen.
      Nur wenigen deutschen Gelehrten war es vergönnt, mit soviel Einsatz und Erfolg deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft zu fördern und als eines seiner Hauptarbeitsgebiete das Familienrecht zu pflegen.
 
Der Verstorbene begann seine glanzvolle Laufbahn 1932 mit einer völkerrechtlichen Dissertation. Sie war der Bank für internationalen Zahlungsausgleich gewidmet, einer Institution, die wie die jüngst beschlossene Basel-II-Vereinbarung zeigt, heute in Europa für Banken und Bankkunden eine zentrale Rolle spielt. Auch in seiner Habilitationsschrift Juristische Personen im IPR, ging es noch nicht um Familienrecht, aber auch hier war der Verstorbene vorausschauend. Er verteidigte in Teilbereichen schon 1938 die vom EuGH kürzlich im EU-Bereich erzwungene Gründungstheorie.
      Erst nach dem Ende des 2. Weltkriegs, den Beitzke als Gefreiter in Russland erlebte, wandte er sich diesem Rechtsgebiet zu. In den kalten Winternächten des Jahres 1946 schrieb er die Erstauflage seines Lehrbuchs, das 25 Auflagen erreichte und von Alexander Lüderitz in der 26. und 27. Auflage fortgeführt wurde.

Was machte Günther Beitzke zu den ganz Großen der deutschen Rechtswissenschaft?

Zu nennen sind hier zunächst seine Vielseitigkeit und sein Fleiß. Beitzke war Zivil-, Handels-, Arbeits-, Prozess- und Völkerrechtler und unterstrich als rechtsvergleicher und Kenner des Kollisionsrechts überall die räumlichen Grenzen des eigenen Rechts und die Geltung fremder Grundsätze und Normen. Auf all seinen Arbeitsgebieten verfasste er nicht nur grundlegende Monographien, sondern auch eine kaum überschaubare Zahl von Abhandlungen, Aufsätzen, Buchbesprechungen und Urteilsanmerkungen. Das Schrifttumsverzeichnis, das die ihm zum 70. Geburtstag überreichte Festschrift abdruckt, umfasst 22 Seiten in Kleindruck.
 
Doch Beitzke hielt mit 70 Jahren nicht inne. Dies zeigen seine später erschienenen Arbeiten.
      Ausser fünf weiteren Auflagen seines Lehrbuchs sind auf didaktischem Gebiet zwei öberarbeitungen seines Büchleins Familienrecht - Prüfe Dein Wissen (8. Aufl. 1981, 9. Aufl. 1986) und die Beiträge zu erwähnen, die er zu meinen Wahlfachheften Familien- und Erbrecht (1980) sowie Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung (1982) beisteuerte.
      Noch beeindruckender ist sein wissenschaftliches Schaffen, das hier nur unter dem Gesichtspunkt des Familien- und Personenstandsrecht betrachtet werden soll. Dem Präsidenten der 1. Kommission des Deutschen Rates für IPR oblag 1981 die Herausgabe der Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Personen-, Familien- und Erbrechts. Seinen Namen trägt auch die dem langjährigen Vorsitzenden des Fachausschusses des Bundesverbands der deutschen Standesbeamten Heinz Reichard 1984 in Bad Salzschlirf dargebrachte Festgabe: Einbindung fremder Normen in das deutsche Personenstandsrecht. In der 12. Auflage des Staudingerschen Kommentars (Berlin 1984) erläuterte Beitzke wiederum die Art. 7 und 8EGBGB.
      Hinzu kommen 12 Aufsätze in IPRax, sowie 9 größere Beiträge und 16 gehaltvolle Buchbesprechungen in unserer Zeitschrift. Hervorzuheben sind seine Jahresüberblicke (StAZ 1980, 33 ff.; 1983, 1 ff.) sowie seine Beiträge zum Adoptionsrecht, die nichts an ihrer Aktualität einbüßten (StAZ 1984, 346 f.; 1999, 68 f.). Unter den 12 Urteilsbesprechungen, die in der IPRax erschienen, seien seine Kritik an der Rechtsprechung des BVerfG (Sukzessive Demontage familienrechtlichen Kollisionsrechts, IPRax 1985, 268 ff.) genannt, die Analyse postmortaler Eheschließungen (IPRax 1991, 227 ff.) und der Scheidung sunnitischer Libanesen (IPRax 1993, 231 ff.). In der Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Bundessozialgerichts (1979, S. 479 ff.) untersuchte Beitzke, wie familienrechtliche Vorfragen im Sozialrecht zu behandeln sind. Im ZblJugR 73 (1986) 477 ff., 537 ff. stellte er umfassend das durch die IPR-Reform neu geregelte Kindschaftsrecht dar. In der Festschrift für Müller-Freienfels (1986, S. 31 ff.) äußerte er sich zur Reform der Ehelichkeitsanfechtung. Dies nur Ausschnitte seines Schaffens, das wie bisher Scharfsinn, Überzeugungskraft und Streben nach Gerechtigkeit ausstrahlt.
      Vielseitigkeit, Fleiß und Streben nach Gerechtigkeit sind aber nicht die einzigen Tugenden, die den Verblichenen auszeichnen. Hinzukommen sein unermüdlicher Einsatz für Staat und Kirche. Beitzke war seit 1954 Mitglied der Familienrechtskommission der Evangelischen Kirche Deutschlands. Er saß in zahlreichen Kommissionen des Bundesministers der Justiz. Auf den Haager Konferenzen für IPR vertrat er Deutschland 1966, 1968 und 1976. Dem Deutschen Rat für IPR gehörte er seit 1953 an. Die 1. Kommission für Personen-, Familien- und Erbrecht leitete er von 1976 bis 1981. Viele Jahre war er Mitglied der Sachverständigen-Kommission des internationalen Arbeitsamts.
 
Vorbildlich war sein soziales Engagement. Von 1956 bis 1966 war er Vorstand des Deutschen Instituts für Vormundschaftswesen. 15 Jahre gehörte er dem ständigen Ausschuss dieses Instituts an. 1956 wurde er auch Mitglied des deutschen Zweigs des Internationalen Sozialdienstes.
      Nicht vergessen werden darf aber sein Einsatz und sein lebhaftes Interesse für das Personenstandswesen. Günther Beitzke hielt viele Jahre fesselnde Vorträge bei Fortbildungsveranstaltungen und war auch regelmäßig Gast in Salzschlirf. Ich habe ihm selbst oft gelauscht und war darüber glücklich, in vielen Fragen Gleichklang zu verspüren; dies vor allem in den Jahren, in denen sich Rechtslehre und Rechtsprechung an den verfassungswidrigen Kollisionsnormen des EGBGB festbissen. Dem konservativen Beitzke gereicht es zur Ehre, dass er eigene Wege beschritt und nachdrücklich für die Gleichberechtigung deutscher und ausländischer Frauen eintrat.
 
em. Professor Dr. Dr. h. c. Fritz Sturm


Diesen Nachruf erschien 8/2004 in external link Das Standesamt, Verfassser Herr em. Prof. Dr. Dr. h.c. Fritz Sturm, CH - Lausanne.

Eingang · O. Sandrock C. Scholl F. Schwind B. Tschiporikov Sturm - Top

eMail © Fritz Sturm · Seite erstellt am: 16.7.2000, letzte Änderung 12:06 18.7.2004, Sonntag