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Claus Scholl


Günther Beitzke zur Vollendung des 95. Lebensjahres am 26.4.2004

Bei allen deutschen Juristen ist er bekannt als Verfasser des in 25 Auflagen im Verlag C.H. Beck erschienenen Lehrbuchs des Familienrechts, von ihm selbst bescheiden 'Studienbuch' oder gar 'Lernbehelf für Studierende' genannt, obwohl es mit einem Umfang von mehr als 400 Seiten über mehr als vier Jahrzehnte das Standardwerk zum deutschen Familienrecht war.
 
Internationalprivatrechtler kennen und schätzen seine Kommentierung des EG BGB im Großkommentar von Staudinger.
 
Fachleute wissen auch um seine umfassenden Kenntnisse im Arbeitsrecht und seine langjährige Tätigkeit als Gutachter bei der ILO in Genf.
 
Wir alle kennen seine schier übermenschliche Arbeitskraft, sein abgewogenes Urteil, seine unbedingte Zuverlässigkeit, seine stete Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Das alles braucht hier nicht erneut ausgebreitet zu werden. Ich will mich deshalb darauf beschränken, bloß eine Facette dieses universitären Edelsteins zu beschreiben und den Jubilar aus der Sicht des Studenten und Doktoranden der Jahre von 1965 bis 1971 an der Universität Bonn zu beschreiben. Dazu soll kurz die Situation vor fast vierzig Jahren in Erinnerung gerufen werden:
 
Das Juridicum war noch nicht erstellt, die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät hatte ihren Sitz noch im ehemaligen kurfürstlichen Schloss. In dessen Dachgeschoss befand sich das juristische Seminar, auf dem Gang eine beeindruckende Sammlung US-amerikanischer Rechtsprechung und Literatur, von den Amerikanern als Ausgleich für die im Krieg zerbombte deutsche Bibliothek geliefert. Als erster Glanzpunkt des Nachkriegsbaus wurde das neu erstellte Stadttheater gerade eingeweiht, und die britische Queen stattete Deutschland im Mai 1965 einen Besuch ab. Bundeskanzler Ludwig Erhard gab der allgemeinen Stimmung mit dem Ausspruch 'Die Nachkriegszeit ist zu Ende' den richtigen Ausdruck.
 
Die Bonner Fakultät war vorzüglich besetzt. Der leider allzu früh verstorbene Armin Kaufmann hielt eine beeindruckende Vorlesung zum Allgemeinen Teil des Strafrechts. Werner Flume führte in einer Weise in das Bürgerliche Recht ein, die dem Anfänger den Atem nahm. Nachdem sein 'Allgemeiner Teil II - Das Rechtsgeschäft' gerade erschienen war, verabschiedete er sich in der letzten Vorlesung des Sommersemesters 1965 mit den Worten, er habe uns ein Buch für die Semesterferien geschrieben, in dem wir dreißig Seiten täglich lesen könnten. Den Allgemeinen Teil des BGB las der gerade in München habilitierte dreißigjährige Privatdozent Andreas Heldrich, der schon zum folgenden Wintersemester auf ein Ordinariat in Münster berufen wurde und später Vorsitzender des Wissenschaftsrats und langjähriger Rektor der LMU München war. Die Einführung in das Recht hielt Franz Bydlinski, der später in Wien eine ganze Dynastie von Rechtswissenschaftlern begründen sollte. Jürgen Salzwedel las Staatsrecht, Hermann Conrad Deutsche Rechtsgeschichte. Die großen Öffentlichrechtler Ulrich Scheuner und Ernst Friesenhahn - und eben auch Günther Beitzke - sollte ich erst im folgenden Wintersemester kennen lernen.
      Der Jubilar las Schuldrecht, wobei er bei den Literaturempfehlungen keine sehr schmeichelhafte Bemerkung zu den Beckschen Kurzlehrbüchern von Molitor machte, die gerade in der siebten (und letzten) Auflage vorlagen. Ich muss es gestehen: Entgegen seinem Rat schaffte ich die Bücher dennoch an - und habe es bedauert. Erst 32 Jahre später, beim gemeinsamen Besuch der Zivilrechtslehrertagung in Jena 1997, hat der Jubilar mir gestanden, dass der Verlag zunächst an ihn herangetreten war, er sich aber wesentlich längere Zeit für die Erstellung ausbedungen und eben deshalb das Lehrbuch zum Familienrecht übernommen hatte, zu dessen Entwurf er sich schneller in der Lage sah.
 
Im Folgejahr durfte ich dann beim Jubilar Familienrecht hören. Während man heute mit dem Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft beginnt, begann Günther Beitzke damals bei dem, was er aus mir immer noch nicht bekannten Gründen wie 'Verlöppnis' aussprach und aus dem nicht auf Eingehung der Ehe geklagt werden kann. Hier erlebte ich das Musterbild einer Vorlesung: Ein umfassend in allen Einzelheiten orientierter Dozent, die Darstellung präzise, unterschiedlichen Meinungen Raum gewährend, sich letztlich aber immer für eine liberale und wohl abgewogene Meinung entscheidend. Dies zu einer Zeit, als noch das von Eheverboten gespickte Ehegesetz galt, und manche als so schwarz galten, dass sie noch bei Nacht im Kohlenkeller einen Schatten warfen. Ich war nachhaltig beeindruckt.
 
Langsam kamen auch erste Überlegungen in Richtung auf eine Promotion auf. Bei einem Gespräch charakterisierte ein Gerichtsreferendar den Jubilar wie folgt: 'Wenn Du bei ihm nicht fertig wirst, dann liegt es nicht an ihm, sondern an Dir.' Das schienen mir recht vielversprechende Auspizien. Auch hatte ich eine Neigung zum Internationalprivatrecht und zur Rechtsvergleichung gefasst, nachdem ich bei dem vor nun schon 17 Jahren verstorbenen Jochen Schröder die Vorlesung gehört hatte. So entschloss ich mich, im Sommer 1967, die Fakultät war gerade ins Juridicum umgezogen, bescheiden anzufragen, ob ich am für das Wintersemester 1967/68 'privatissime et gratis' angekündigten Seminar zum Internationalen Privatrecht teilnehmen dürfe. Zu diesem Zweck begab ich mich in der Sprechstunde ins Dienstzimmer, wo hinter dem Schreibtisch des Jubilars ein Ölbild seines Vaters hing, das diesen im Ärztekittel vor dem Mikroskop darstellte. Von meinem Bruder, der damals in Bonn Medizin studierte und heute in Rheinbach als Nervenarzt niedergelassen ist, wusste ich, dass external link Hermann Beitzke ein berühmter Tuberkuloseforscher war, der noch bis in die fünfziger Jahre veröffentlicht hatte.
      Unseren Jubilar wiederum beeindruckte, dass mein Bruder und ich als junge Studenten das wussten, und ich wurde in meinem sechsten Studiensemester zum Seminar zugelassen. Übrigens: Als ich im vergangenen Jahr meine Tochter nach bestandenem Physikum von der letzten Prüfung in Anatomie an der RWTH Aachen abholte, erfuhr ich von Prof. Prescher, dass man bei der Untersuchung der Knochenreste nach der erst vor kurzem erfolgten Ausgrabung des Friedhofs für Leprakranke im Ortsteil Melaten (eine Verbalhornung für malade) in Aachen die Veröffentlichungen von external link Hermann Beitzke herangezogen hat.
 
Ich übernahm ein Referat zu den internationalprivatrechtlichen Problemen des Eheverbots der Wartezeit und durfte mich erstmals mit der Problematik von ein- und zweiseitigen Eheverboten auseinandersetzen. Am Seminar nahm auch ein Teilnehmer aus Bayern teil, den der Jubilar beim Skifahren kennen gelernt hatte und von dem wir Neues über die Verkehrsregeln beim Skifahren hörten, eine mir damals noch völlig unbekannte Thematik. Es trugen auch Rechtsanwälte vor, deren Referate aber - vorsichtig ausgedrückt - jedenfalls nicht besser waren als die der studentischen Teilnehmer. Bestimmte Ausführungen kommentierte der Jubilar mit 'expellas naturam furca, tamen usque recurret', einem Spruch, den er - wie ich inzwischen weiß - von seinem Fechtlehrer übernommen hat. Nach meinem Vortrag bot mir der Jubilar an, bei ihm zu promovieren, wenn ich ein ordentliches Staatsexamen machen würde. Zum Schluss luden er und seine Frau zum festlichen Abendessen in ihr Privathaus nach Bad Godesberg, wunderschön auf der Anhöhe 'Am Stadtwald' gelegen, wobei die Nichte mithalf und der Jubilar sich entschuldigte, dass er das Essen wegen Erkrankung seiner Frau aus dem Kaufhof habe kommen lassen. Er trug ein selbstverfasstes Gedicht vor, in dem er die Ereignisse des Seminars zusammenfasste, sein damaliger Mitarbeiter Marwede überreichte im Namen der Teilnehmer ein Geschenk, für das wir zusammengelegt hatten. Hier kam ein Stück untergegangenes europäisches Großbürgertum zum Vorschein, das uns alle beeindruckte. Ich habe mir das zum Vorbild genommen, und sowohl an der RWTH Aachen als auch an der TH Köthen und der TU Chemnitz die Teilnehmer meiner Seminare zu Abschlussessen eingeladen, allerdings in Restaurants. Immer wieder wurde mir erklärt, so etwas erstmals zu erleben. Ich freue mich, auf diese Weise ein Stück dessen weitertragen zu können, was ich beim Jubilar erlebt habe.
 
Langsam begann auch an der Universität Bonn - wenn auch gegenüber Berlin in sehr zivilisierten Formen - das, was heute als '68er Bewegung bezeichnet wird. Der Bonner Star-Repetitor Dr. Paul Schneider soll seinen Hörern seinerzeit nahegelegt haben, jedenfalls Beitzke und Scheuner 'in Ruhe zu lassen'. Leider hat diese Bitte nichts genützt, so dass auch der Jubilar in die damaligen Auseinandersetzungen einbezogen wurde.
 
Als meine Großmutter, die Komplementärin einer KG gewesen war, mit einem komplizierten Testament unter Anordnung von Testamentsvollstreckerschaft verstarb und ich mich darum kümmern durfte, habe ich mir erlaubt, den Jubilar zu konsultieren. Bescheiden, wie er ist, hat er zunächst erklärt, auf dem Gebiet des Erbrechts kein ausgewiesener Fachmann zu sein, ist dann aber erwartungsgemäß doch sofort zum Kern des Problems vorgedrungen. Im Staatsexamen erwartete mich dann übrigens eine erbrechtliche Klausur, die ich auf Grund meiner vorherigen praktischen Befassung mit der Thematik blendend lösen konnte, so dass ich auf das Angebot des Jubilars zurückkommen und diesen wegen der Vergabe einer Dissertation aufsuchen konnte. Auf Erstaunen am Lehrstuhl stieß, dass ich parallel mein Studium der Volkswirtschaftslehre zu Ende führte. Der Jubilar hat dies damals seiner Vorzimmerdame Scheithauer damit erklärt, dass ich als Führungskraft im elterliche Unternehmen, Dr. Scholls Fußsandalen, vorgesehen sei. Alle Beteuerungen, mit diesem US-amerikanischen Unternehmen nichts zu tun zu haben, haben seinerzeit nichts gefruchtet. So hat es die Wahrheit manchmal schwer, gegen ein plausibel erscheinendes Gerücht anzukommen.
      Der Jubilar fragte seinerzeit, bei welchem Repetitor ich gewesen sei und bot mir dann ein europarechtliches und ein familienrechtliches Thema zur Wahl an. Ich bat um eine Woche Bedenkzeit und entschied mich für das familienrechtliche. So habe ich denn unter besonderer Berücksichtigung rechtsvergleichender, rechtspolitischer und internationalprivatrechtlicher Aspekte zum Eheverbot der Wartezeit promoviert. Ich habe seinerzeit auch Feldforschung an diversen Standesämtern getrieben, wo der Name des Jubilars mir buchstäblich Tür und Tor öffnete.
      Inzwischen war der allzu früh verstorbene Jochen Schröder Ko-Direktor des Instituts geworden. Er lebte eine offene und intensive Liebe zur Jurisprudenz. Wo er forschte, wuchs buchstäblich kein Gras mehr, sondern klafften meterlange Lücken in den Bibliotheksregalen, weil er unter Hinterlassung eines entsprechenden Hinweises buchstäblich alles zur Thematik in sein Dienstzimmer transportiert hatte. Abgesehen davon störten die beim Bau der U-Strab durch die Adenauerallee eingesetzten Rammen. Vor der Weihnachtspause 1970 legte ich dem Jubilar den Entwurf der Arbeit in der Hoffnung vor, dass dieser über die Feiertage Zeit finden würde, sich damit zu beschäftigen. Gleich nach Wiederbeginn der Vorlesungen im Januar 1971 erhielt ich die Arbeit dann auch durchgesehen zurück. Auch hier ist der Jubilar Vorbild - allerdings leider unerreichtes. Das Gutachten zur Arbeit tippte er übrigens eigenhändig, weil er der Verschwiegenheit seines Vorzimmers nicht ganz traute. Ich sprach mich seinerzeit für die Abschaffung des Eheverbots aus, eine Empfehlung, der der Gesetzgeber zum 1.7.1998 nachgekommen ist. Ich hielt das Eheverbot auch für zweiseitig, was Heldrich im Palandt zu Art. 13 EG BGB bis zur Abschaffung des Verbots über Jahrzehnte mit der Bemerkung 'a.A. Scholl mit beachtlichen rechtspolitischen Gründen, jedoch gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes' kommentiert hat.
 
Nachdem ich während des Referendariats noch Korrekturassistent u.a. im Examensklausurenkurs gewesen war, waren nach dem Assessorexamen im Jahre 1975 mit der wachsenden Arbeitslosigkeit in Bonn erstmals alle Mitarbeiterstellen besetzt, selbst die immer frei gewesene im Römischen Recht bei Heinrich Vogt, der zu Beginn seiner Vorlesung seinen Lehrer Fritz Schulz mit dem Ausspruch dessen Lehrers zitierte: 'Als die Sonne des römischen Rechts aufging über den Urwäldern Germaniens ...' Ich ging deshalb zunächst an die LSE nach London zu einem von Clive Schmitthoff organisierten Sommerkurs 'Modern English Law' und bewarb mich dann um ein Stipendium vom British Council und dem DAAD zum 'Young European Lawyers' Kurs 1976. Wer saß mir im Auswahlgremium beim in englischer Sprache geführten Auswahlgespräch gegenüber? Der Jubilar. So durfte ich mich 1976 in Edinburgh zunächst mit schottischem Recht und dann bei Dundas & Wilson, Davidsson & Syme mit der Erschließung des Nordseeöls beschäftigen.
 
Die Verbindung zum Jubilar ist aber nie abgerissen. Als er seinen Hausstand altersbedingt auflösen und seine umfangreiche Bibliothek veräußern musste, erwarb diese der Aachener Rechtsanwalt Eßer, wo auch ein Exemplar meiner Dissertation auftauchte. Eßer hat übrigens den vom Jubilar geforderten Preis sofort akzeptiert, weil er das Angebot für ein Schnäppchen hielt. Umgekehrt war auch der Jubilar sehr zufrieden. Es ergab sich also das, was man heute als win-win-Situation bezeichnet, eine Lage, die geradezu typisch ist, wenn man mit dem Jubilar in Kontakt kommt. Als die TH Köthen, wo ich nach der Wiedervereinigung Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie betriebswirtschaftliche Steuerlehre und Wirtschaftsprüfung gelesen habe, den Jubilar im Jahre 1993 wegen eines Gutachtens zur Verleihung einer Honorarprofessur ansprach, war er bereitwillig zur Stelle, so dass wir dort vor nunmehr elf Jahren gemeinsam feiern konnten. Als die Universität Paderborn mich 1995 auf eine C3a-Professur berufen wollte, wandte sie sich wegen eines Gutachtens an Beitzkes Schüler Otto Sandrock, während die TU Chemnitz bei der Besetzung des Lehrstuhls für Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht direkt den Jubilar ansprach. Ich habe mich sehr gefreut, dass der Jubilar dann im Jahre 1996 meine Einladung zur Eröffnung des Instituts für Wirtschaft, Recht und Technik, zu der ich als Mitglied des Arbeitskreises Kartellrecht beim Bundeskartellamt dessen damaligen Präsidenten Wolf als Festredner gewinnen konnte, angenommen und zur Diskussion gesprochen hat. Der Jubilar hat es sich seinerzeit auch nicht nehmen lassen, meine Lehrveranstaltung zum Handels- und Gesellschaftsrecht zu besuchen.
 
Wie es aber Experten so geht: Ein Sohn ist vor den Untiefen des deutschen Familienrechts geflohen und hat in Las Vegas geheiratet.
 
Ihnen, sehr verehrter, lieber Herr Beitzke, für alles vielen Dank und herzliche Glückwünsche zum Geburtstag.
 
Claus Scholl
 

von Prof. Dr. iur. Claus Scholl
external link Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der TU Chemnitz
external link Lehrstuhl für Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht
Direktor des Instituts für Wirtschaft, Recht und Technik
09107 Chemnitz

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eMail © Claus Scholl · Seite erstellt am: 28.4.2004, letzte Änderung 18:31 9.12.2004, Donnerstag