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Familien Rechts Zeitung

Zum Gedenken an Günther Beitzke

Am 16. Juni verstarb im hochbetagten Alter von 95 Jahren der emeritierte o. Professor Dr. Dr. h.c. mult. Günther Beitzke nach einem erfüllten Gelehrtenleben. Kaum zwei Monate zuvor hatten noch seine Söhne zu einem kleinen Empfang aus Anlass des hohen Geburtstags im Wohnstift in Bornheim bei Bonn eingeladen und Dieter Henrich in FamRZ 2004, 683, namens der Schriftleitung und Herausgeber dieser Zeitschrift den geziemenden Glückwunsch ausgesprochen. Auf dem Poppelsdorfer Friedhof in Bonn wurde Günther Beitzke nach einer schlichten Trauerfeier unter Anteilnahme seiner Fakultätskollegen, Freunde und Schüler anschließend im engsten Familienkreis an der Seite seiner ihm schon 1990 vorausgegangenen Ehefrau beigesetzt. Als sich zuletzt 'in Bonn fest verankert' fühlend hatte er selbst anlässlich seines 85. Geburtstag die schon vorgesehene letzte Ruhestätte als 'Endstation' seiner bewegten Lebensbahn bezeichnet.
 
In der Tat konnte Beitzke auf ein schier weltumspannendes rast- und ruheloses Leben im Dienste der Wissenschaft zurückschauen, welches ihn auf vielen Vortragsreisen über Europa hinaus bis nach Amerika und Ostasien führte. Sein bedeutender Wiener Fachkollege und Freund von Schwind nannte ihn deshalb bei der Tischrede zum 70. Geburtstag ein Vorbild des 'tourisme scientifique', der 'wie ein gefeierter Tenor von Bühne zu Bühne eilt', um seine Hörer jeweils in die neuesten Erkenntnisse des 'Internationalprivatrechts' einzustimmen - wie der auf sprachliche Kürze bedachte Beitzke sein zweites Hauptfachgebiet neben dem Familienrecht zu bezeichnen pflegte. So sehr seine Fachsprache auf die Sache konzentriert war, war er im gesellschaftlichen Umgang ein charmanter Erzähler, der von manchem Reiseabenteuer zu berichten wusste, wie von der Entgegennahme der Ehrendoktorwürde in Reykjavik im seiner eher zierlichen Statur nicht angepassten entliehenem Festgewand, weil sein Koffer nach New York weitergereist war, oder vom Sturz aus dem anfahrenden Zug auf den Wiener Bahnsteig oder von mancher Karambolage mit seinem Kleinwagen auf der Fahrt vom Wohnstift zum Bonner Institut, die der über Neunzigjährige jeweils ebenso glimpflich überstand.
 
Die gemischt preußisch-österreichische Prägung gab Günther Beitzke sein Vaterhaus. Seine preußische Herkunft geht auf seine Vorväter, meist Pfarrer und Lehrer, zurück. Sein Großvater war Oberlandesgerichtsrat in Köln und zuletzt Landgerichtspräsident in Wuppertal. Das Rüstzeug zum weltoffenen Gelehrten erhielt der am 26. April 1909 in Freiburg i.Br. geborene Günther Beitzke jedoch durch seinen Vater, einen renommierten Medizinprofessor, dessen Rufe nach Berlin, Lausanne, Düsseldorf und Graz die unsteten Jugendjahre des Jünglings bestimmten. Mit seinem in den Schuljahren in Lausanne erworbenen Französisch brillierte er später auf internationalen Fachkongressen, seine 1922 in Graz hinzuerworbene österreichische Staatsangehörigkeit behielt er neben der deutschen bis zuletzt bei, ebenso wie den Damen gegenüber den galanten Handkuss und seine noble und dennoch Bescheidenheit wahrende Lebensart.
 
Nach dem Jurastudium in Berlin, München und Kiel promovierte er bei dem bekannten Kieler Völkerrechtler und Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag Walther Schücking 1933 über das Thema 'Die Rechtsstellung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich' und habilitierte sich unter Betreuung von Rolf Dietz mit der Schrift 'Juristische Personen im Internationalprivatrecht 1937 in Gießen, dem 1938 die Ernennung zum Dozenten, 1939 ein Lehrauftrag in Leipzig und 1939 die a.o. Professur in Jena folgten. Die empörte Verweigerung des vom Jenaer Rektor im Frühjahr 1941 angesonnenen Kirchenaustritts kostete den bekenntnisfesten Beitzke das angebotene Ordinariat und die Freistellung vom Wehrdienst. So kam er von 1941 bis 1945 zum Einsatz als Artillerist an der Ostfront. Dort erreichte ihn 1943 per Feldpost der Ruf auf das Ordinariat in Göttingen, er konnte seine Lehrtätigkeit aber erst nach Rückkehr aus der Gefangenschaft in der bereits im Herbst 1945 wiedereröffneten Göttinger Fakultät aufnehmen.
 
Einen ehrenvollen Ruf auf einen prozessualen Lehrstuhl in München hatte Beitzke 1954 ausgeschlagen, ebenso 1958 einen solchen nach Tübingen, um sodann 1959 den gleichzeitig an ihn ergangenen Ruf nach Bonn - dem Beispiel seiner früheren Göttinger Kollegen Flume und Welzel folgend - anzunehmen. Hier gründete er sogleich das Institut für Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, das fortan vielen in- und ausländischen jungen Wissenschaftlern eine Stätte der Forschung bot und ihm selbst zum Zentrum seiner weltweit entfalteten Kontakte wurde, deren die unter dem Ungeist der Ära von 1933 bis 1945 in die Isolierung geratene deutsche Rechtswissenschaft im neuen Brückenschlag der Verständigung so dringend bedurfte. Hierzu leistete er seinen Beitrag, indem er auf Einladung der Akademie für Internationales Recht in Den Haag dort wiederholt Vorlesungen hielt, desgleichen jahrelang an der Internationalen Fakultät für Rechtsvergleichung in Straßburg. Als deutscher Regierungsvertreter nahm er 1966, 1968 und 1976 an den Haager Konferenzen für Internationales Privatrecht teil. Schon seit 1955 war Beitzke Mitglied der Sachverständigenkommission beim internationalen Arbeitsamt in Genf, um erst nach 27-jähriger Tätigkeit nach scharfem Protest gegen den anmaßenden russischen Vertreter seinen Platz zu räumen. Auch gehörte er bereits dem Rat für Internationales Privatrecht seit seiner Gründung 1952 an, in dessen erster, mit Vorschlägen zum IPR-Gesetz 1986 befassten Kommission für Familien- und Erbrecht er von 1976 bis 1982 den Vorsitz führte.
 
Seinen Ruhm als Familienrechtler begründete Beitzke mit seinem Lehrbuch des Familienrechts, dessen 1. Auflage in entbehrungsvoller Nachtarbeit (dazu Otto Sandrock, FamRZ 1989, 466) bereits 1947 entstanden ist und dessen Darstellung er als Alleinverfasser ohne jede fremde Zuarbeit innerhalb von 40 Jahren in 25 Auflagen bis 1988 zur höchsten Perfektion brachte. Es ist ein Meisterwerk der Lehrbuchliteratur an pädagogischer Weisung, souveräner Stoffbeherrschung und konziser sprachlicher Präzision, welches die Reformdiskussion stets an vorderster Front mit allseits anerkannter Sachkompetenz maßgeblich, aber auch 'maßvoll' (Sandrock) und ohne eilfertige Konzessionen an den Modernismus anführte und kritisch begleitete. Viele Studentengenerationen, die gleich mir als Hörer das Familienrecht vernachlässigt haben, verdanken 'dem Beitzke' ihre dennoch erlernten Kenntnisse.
 
Reformanstöße hat Beitzke selbst gegeben, so mit seinem richtungsweisenden Beitrag 'Gleichberechtigung von Mann und Frau' in Band II der 'Grundrechte' von Neumann/Nipperdey/Scheuner (1954) oder mit seinem Vortrag vor der Berliner Juristischen Gesellschaft 'Grundgesetz und Internationalprivatrecht' (1961). Von Anfang an focht er energisch gegen die nach seiner Ansicht gegen Art. 3 II GG verstoßende Anknüpfung an Mann und Vater im sachlichen und internationalen Familienrecht. Die im IPR-Gesetz 1986 letztlich zur Geltung gelangte Lösung sollte ihm Recht geben. Ebenso hat er als Mitglied der Familienrechtskommission der Evangelischen Kirche Deutschlands sowie der Kommissionen des Bundesministeriums der Justiz zur Vorbereitung des Nichtehelichengesetzes von 1969 und der Novellierung des Eherechts (von 1968 bis 1972) maßgebend auf die Familienrechtsreformen Einfluss genommen.
 
Mit der Familienrechtszeitschrift und ihrem Gründer und Herausgeber Friedrich Wilhelm Bosch war Beitzke von Beginn an eng und in ständiger wechselseitiger Dialogbereitschaft bis zuletzt freundschaftlich verbunden. Die fruchtbare Zusammenarbeit setzte schon im Gründungsjahr mit Beitzkes Beitrag 'Zur Neuordnung des ehelichen Güterrechts' (FamRZ 1954, 156) ein und setzte sich in zahlreichen grundlegenden Aufsätzen zu zentralen Familienrechtsfragen in der FamRZ fort, von denen beispielhaft nur sein Eröffnungsbeitrag im Festheft zum 70. Geburtstag Boschs 'Libera debent esse matrimonia' (FamRZ 1981, 1122) genannt sei. Trotz verschiedener konfessioneller Prägung begegneten sich die beiden führenden Familienrechtler, die die Bonner Fakultät zu einer Hochburg der Pflege des Familienrechts haben werden lassen, mit großem gegenseitigen Respekt. So bekannte Bosch offen, dass ihn letztlich die von Beitzke mitverfasste Denkschrift der Familienrechtskommission der EKD von 1969 vom Zerrüttungsprinzip überzeugt habe (FamRZ 1977, 574). Beider Werk an der Neugestaltung des Familienrechts bleibt ihr gemeinsames Verdienst weit über ihren Tod hinaus.
 
Beitzke wurde für sein großes wissenschaftliches Werk und seine völkerverbindende Leistung reiche internationale Anerkennung zuteil, so durch die von seinem Schüler Otto Sandrock herausgegebene große Festschrift zum 70. Geburtstag (1979), ergänzt um das von Bosch dargebrachte Festheft der FamRZ 1979, 361 ff., mit zwölf weiteren Beiträgen, den gleichfalls von Bosch namens der Fakultät herausgegebenen Symposion-Band 'Neuere Entwicklungen im Familienrecht' (1990) zum 80. Geburtstag Beitzkes, durch Auszeichnungen mit den Ehrendoktorwürden der Universitäten Reykjavik (1971), Bordeaux (1974) und Wien (2001), durch Ernennung zum korrespondierenden Mitglied der Wiener Akademie der Wissenschaften (1973) und der Académie Nationale des Sciences, Belles-Lettres et Arts de Bordeaux (1982) sowie durch die Verleihung des Großen Bundesverdienstkreuzes (1983).
 
Die Fachwelt und die durch ihn geschulte akademische Jugend und namentlich alle, die Günther Beitzke als Kollegen, Schüler und Freunde nahe standen und ihm soviel fachliche und menschliche Bereicherung verdanken, werden dem Verstorbenen in Mittrauer mit seiner Familie ein bleibendes Andenken bewahren.
 
Hans Friedhelm Gaul, Bonn


Dieser Artikel erschien 2004 in der external link FamRZ 2004, Heft 16, S.1258 'Gedenken an G. Beitzke'.

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eMail © FamRZ · Seite erstellt am: 17.11.2004, letzte Änderung 18:06 17.11.2004, Mittwoch