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Brief aus Göttingen an den Kollegen Karl Engisch
am 21. Febr. 1957


Sehr verehrter, lieber Herr Kollege Engisch!

Es ist doch schade, daß ich nicht in München bin, denn dann hätte ich Ihnen ein wenig ausführlicher über meine Gießener Jahre berichten können als es so möglich ist. Vor allem wäre der Bericht etwas lebendiger und anschaulicher ausgefallen.
      Als ich am 10. Januar 1936 nach Gießen kam, wirkte dort Herr Bley als Dekan. Er blies ein wenig die NS-Trompete, sodaß die Studenten sein Kolleg scherzhaft 'Die Stunde der jungen Nation' nannten. Im übrigen war er völlig von seinem Kommentar zur Vergleichsordnung erfüllt, denn es war sein Ideal, als Schüler von Ernst Jaeger im Vergleichsrecht das zu sein, was Jaeger für das Konkursrecht bedeutete. Er berichtete gerne ausführlich von den Problemen, die ihn beschäftigten, und ich habe - oft etwas gezwungenermaßen - als geduldiger Zuhörer doch auch ordentlich viel dabei gelernt, obwohl man mit Herrn Bley nicht diskutieren konnte, sondern zum Zuhörer verurteilt war.
 
Der ungekrönte König der Fakultät war natürlich Herr Eger, dessen hohe menschliche Qualitäten jeden in Bann schlugen und der immer begütigend und ausgleichend wirkte, wenn die Temepramente einmal aufeinander losgingen (etwa Bleye-Dietz). Sie kennen gewiß den schönen Nachruf, den Kaser in den Nachrichten der Gießener Hochschulgesellschaft auf Eger geschrieben hat. Herr Gmelin stand zu meiner Zeit schon sehr im Hintergrund, zumal er an Kreislaufstörungen litt.
 
Dagegen war Herr Fröhlich stets munter und lebhaft und hielt sein Kolleg in einem atemberaubenden Tempo, daß der Zuhörer kaum folgen konnte. Herr Fröhlich fuhr damals eifrig in einem Kleinauto in Lande umher und sammelte Rechtsaltertümer, welche er im Photo festhielt. Kein Galgen, keine Richtstätte, kein Halseisen oder Schwert dürfte ihm entgangen sein. Er wurde mit dieser Liebhaberei, auf welche er viel mehr Wert als auf die Jurisprudenz legte, immer viel aufgezogen und konnte gelegentlich etwas gereizt und rechthaberisch reagieren, zeigte sich aber sonst immer von einer menschlich recht erfreulichen Seite.
 
Herr Hall, den Sie ja sicher näher kennen, war damals gerade als junger a.o. nach Gießen gekommen und zeichnete sich durch die eigentümliche Lebhaberei aus, in kleinsten Winkelkneipen zu speisen. Ich folgte ihm darin nicht und so trafen wir uns immer erst nach dem Essen zu einer Tasse Kaffee, um dabei die neuesten Universitätsereignisse zu besprechen. Hall war immer ganz außerordentlich kameradschaftlich zu mir und hatte auch zu den Studenten ein ungewöhnlich gutes Verhältnis. Das beruhte nicht zuletzt darauf, daß Hall seine ganze Kraft für ein gutes und anschauliches Kolleg einsetzte. Er hatte für jede Kollestunde eine besondere Mappe und pflegte unentwegt mit Radiergummi und Bleistift an den Formulierungen zu feilen.
 
Herr Dietz war unter den Ordinarien wohl ebensosehr der fleißigste wie der lebhafteste, und für daß kleine Gießen wohl auch der weltmännischste der juristischen Professoren. Als er einige Zeit nach meinem Dienstantritt in Gießen das Dekanat übernahm, ergab es sich von selbst, daß ich als 'der' Assistent der Fakultät zu ihm in ein näheres Verhältnis kam und er mich dann auch als seinen Schüler betrachtete.
 
Ich selbst kam auf etwas merkwürdige Art nach Gießen. Ich kannte dort niemanden. Ich hatte zwar gelegentlich mit der akademischen Laufbahn geliebäugelt, war aber 1935 als Gerichtsassesor im Justizdienst in Kiel. Mein Freund Kaser hatte mir geraten, mich in Münster um eine Assistentenstelle zu bewerben. Das war aus irgendwelchen äußeren Gründen erfolglos geblieben. Aber das damalige Regime hatte für solche Bewerbungen einen Fragebogen amerikanischen Ausmaßes vorgeschrieben, welchen ich pflichtgemäß in 6facher Ausfertigung eingereicht hatte. Eine Ausfertigung war an den Zentralstellenachweis des Dozentenbundes gegangen, wo er Bley wiederm in die Hände fiel, als er nach tauglichen Aspiranten für die Gießener Assistentenstelle Ausschau hielt, weil er damals nur einen Referendar hatte, der erst einige Zeit nach meiner Ankunft seine Dissertation fertigstellte.
      Herrn Bleys Anfrage erreichte mich in einem Augenblick, als ich gerade kein Kommissorium hatte, und so sagte ich kurz entschlossen zu damit kam zum ersten Mal in Gießens Geschichte ein Preuße auf die Assistentenstelle der Juristischen Fakultät. Ich wurde vom ersten Tage an in dieser 6-Männer-Fakultät gehalten wie der große Sohn im Hause und nahm an Fakultäts-Interna teil, von denen sonst ein Assistent nichts erfährt. Das lag etwas an der eigentümlichen Stellung des Gießener Assistenten, welcher nicht nur Verwalter des Seminars und Korrekturassistent, sondern zugleich so etwas wie Fakultätssekretär war. Meinen Neigungen entsprechend lehnte ich es allerdings ab, strafrechtliche und öffentlichrechtliche Übungsarbeiten Zu korrigieren. Mir genügten die zivilrechtlichen Fächer durchaus, zumal es jedes Semester darin 3 Übungen gab, 2 x BGB und dazu entweder Prozeß oder HGB. Die Fakultät hatte damals insgesamt etwa 6o Studenten, die man natürlich sämtlich kannte, und in einer Übung waren selten mehr als 15 Arbeiten auf einmal durchzusehen. So ließen sich auch 3 Übungen durch einen Assistenten betreuen.
 
Es blieb Zeit genug, meinen Neigungen nachzugehen, und als ich nach 1/4 Jahr Anwesenheit von Herrn Eger gefragt wurde, was ich mir eigentlich als Berufsziel der Asststententätigkeit dächte, beichtete ich schüchtern, daß ich eigentlich schon seit dem Abschluß meiner Dissertation mit internationalrechtlichen Fragen beschäftigt sei. Herr Eger ermutigte mich, weiterzumachen und schrieb alsbald als Vorstand der Osann-Beulwitz-Stiftung eine Preisarbeit aus, welche die mich beschäftigenden Fragen betraf. Es war ein schöner Ansporn, in angemessener Frist eine Arbeit fertigzustellen.
      Es war das freilich nicht ganz leicht, da Herr Dietz meine Dienste reichlich in Anspruch nahm. Lieraturzusammenstellungen, Korrekturen lesen von mittags 2 Uhr bis nachts 2 Uhr bei Herrn Dietz in der Wohnung waren keine seltenen Ereignisse, wenn wieder einmal ein Kommentar in Arbeit war. Ich habe dabei allerlei gelernt, was außerhalb meines engen Fachgebietes lag und zugleich immer die schöne Gastlichkeit bei der lebensfrohen und leider so früh entschlafenen Frau Dietz genießen dürfen. Eine besondere Veranstaltung von Herrn Dietz war jeden Sonnabend Nachmittag der Spaziergang auf den Schiffenberg. Herr Hall und ich waren stets mit von der Partie, gelegentlich kam Frau Dietz, manchmal auch Herr Eger oder Familie Fröhlich mit. Herr Dietz veranstaltete auch fröhliche Fakultätsfeste in seiner Wohnung und auch manchen netten Bierabend mit Studenten.
 
Trotz all dieses Betriebes klappte es mit der Habilitationsschrift. Zunächst bekam ich den - für den Druck sehr wertvollen - Preis der Osann-Beulwitz-Stiftung im Sommer 1937, es folgte das Habilitationskoloquium am 7. Dezember l937 und nach der damals nötigen Genehmigung der Habilitation durch das Ministerium in Darmstadt wurde ich 19.2.1938 'Dr. habil'. Es folgte die dreistündige 'Lehrprobe' im Mai 1938 und die Ernennung zum Dozenten am 6. August 1938. Das 'Dozentenlager' hatte ich schon im Oktober 1937 in Tännich/Thüringen hinter mich gebracht. Schon einige Zeit vorher hatte ich - um mich an das Dozieren zu gewöhnen - einen Lehrauftrag erhalten und das IPR sowie eine Einführung ins BGB für Landwirte und Forstleute gelesen.
      Im Oktober 1938, während ich als Soldat im Sudetenland stand, erhielt ich einen Vertretungsauftrag nach Leipzig, der auch für das Sommersemester 1939 verlängert wurde. Mit Kriegsausbruch bekam ich einen Lehrauftrag in Jena und wurde dort 1.11.1939 a.o. Professor, womit ich aus dem Lehrkörper der Universität Gießen ausschied, welchem ich seit meiner Dozentur nur formal angehört hatte, ohne in meiner Eigenschaft als Dozent jemals in Gießen gelesen zu haben.
 
Schon während ich in Gießen war, wurde eine Hilfsassistenstenstelle eingerichtet und mit einem Assessor Dr. Arnold besetzt. Herr Arnold war, wenn ich recht erinnere zeitweise zugleich als Gerichtsassessor tätig. Er heiratete eine entfernte Nichte von Herrn Eger. Herr Arnold war, wenn ich recht erinnere, mein Nachfolger, schied aber nach einiger Zeit aus, um endgültig im Justizdienst zu bleiben (?). Er ist im Kriege gefallen oder vermisst.
      Während Herr Arnold die ordentliche Assistentenstelle versah, wurde Herr Dr. Fritz von Schwind Hilfsassistent. Er hat sich dann - so glaube ich - noch bei Herrn Eger habilitiert und ist jetzt Ordinarius in Wien. Sie befragen ihn am besten selbst (Institut für Rechtsvergleichung an der Universität Wien, Dr. Karl Lueger Ring 1).
      Nach meinem Weggang von Gießen hat sich in der Fakultät ja noch Etliches verändert. Herr Bley bekam Herbst 1938(?) einen Ruf von Gießen nach Graz, sein Nachfolger wurde wohl Herr Baur (jetzt Tübingen), der sicher auch gerne über Gießens letzte Tage berichtet. Herr Dietz ging von Gießen nach Breslau. Wie die Nachfolgefrage gelöst wurde, weil ich nicht, aber vielleicht Herr Diez selbst (Münster, Zeppelinstr. 4).
 
Das wäre so etwa alles, was ich zu berichten habe. Ich hoffe, daß es genügt, um einige Lücken in Ihren Kenntnissen zu füllen und das Bild abzurunden.
      Ich möchte aber den Brief nicht schließen, ohne Ihnen zu berichten, daß ich von einem eingehenderen Studium Ihrer 'Einführung in das juristische Denken' sehr viel profitiert habe, zumal ich auf diese Dinge im Unterricht, namentlich in den Übungen, sehr viel Wert lege. Schon lange schwebt mir vor, dass für den Praktiker einmal der Weg des juristischen Denkens in dem speziellen Fach des IPR dargestellt werden müsse. Sollte ich je dazu kommen, so wird mir Ihre praktische klare Darstellung neben allen Ihren die Problematik vertiefenden Arbeiten eine gute Stütze sein.
 
Ihr Günther Beitzke
 


Dieser Brief wurde am 23. Juli 2002 von Günther Beitzke zur Veröffentlichung freigegeben.

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